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Wendepunkte des Denkens und ständiger Umbau des Gehirns

Wendepunkte des Denkens und ständiger Umbau des GehirnsWendepunkte des Denkens und ständiger Umbau des Gehirns - Bild: ©Teeradej #234065342 – stock.adobe.com

Das menschliche Gehirn baut sich ständig um und schlägt im Laufe des Lebens unterschiedliche Richtungen ein. Neurowissenschaftler der Universität Cambridge identifizierten fünf Phasen der neuronalen Vernetzung im Laufe des Lebens. Das Gehirn ändert seine Strategie und konfiguriert sich neu. Es gibt vier wichtige Wendepunkte, die ungefähr bei 9, 32, 66 und 83 Jahren liegen.

Menschliches Gehirn durchläuft verschiedene Phasen

Viele Menschen haben das Gefühl, in ihrem Leben verschiedene Phasen zu durchlaufen. Auch das Gehirn durchläuft solche Phasen, wie der leitende Autor der Studie, Duncan Astle, Professor für Neuroinformatik, bemerkt. Die strukturelle Entwicklung des Gehirns ist keine Frage des stetigen Fortschritts, sondern von wichtigen Wendepunkten.

Diese Tatsache könnte den Forschern helfen, festzustellen, wie anfällig die Verdrahtung für Störungen ist.

Die Forscher verglichen für die Untersuchung die Gehirne von 3.802 Menschen im Alter von 0 bis 90 Jahren. Sie nutzten MRT-Diffusionsscans, die neuronale Verbindungen abbilden und die Bewegung von Wassermolekülen durch das Gehirngewebe verfolgen.

Menschliches Gehirn durchläuft verschiedene Phasen
Menschliches Gehirn durchläuft verschiedene Phasen – Bild: ©Nomad_Soul #104606944 – stock.adobe.com

Veränderung des Gehirns im Laufe des Lebens

Die Verdrahtung des Gehirns ist entscheidend für die menschliche Entwicklung. Bislang fehlte es an einem Gesamtbild, wie sich das Gehirn im Laufe des Lebens verändert und warum solche Veränderungen erfolgen.
Die Forscher der Universität Cambridge konnten zum ersten Mal die wichtigen Phasen der Verdrahtung des Gehirns im Laufe des menschlichen Lebens identifizieren.

Veränderung des Gehirns im Laufe des Lebens
Veränderung des Gehirns im Laufe des Lebens – Bild: ©sudok1 #220113313 – stock.adobe.com

Die Kindheit

In der Kindheit durchläuft das Gehirn eine beachtliche Entwicklung, da es so viele neuartige Dinge lernt wie in keiner anderen Lebensphase. Das neuronale Netzwerk wird in der Kindheit gefestigt. Im Babyalter produziert das Gehirn Synapsen als Verbindungen zwischen den Neuronen. Die Fülle an Synapsen wird in der Kindheit reduziert. Übrig bleiben nur die aktiven Synapsen. Die benachbarten Regionen spezialisieren sich, da sie sich enger vernetzen.

Die Effizienz der Kommunikation sinkt dabei über weite Strecken im Gehirn.

In dieser Phase nimmt das Volumen der weißen und grauen Gehirnsubstanz stark zu. Die graue Substanz stellt das Rechenzentrum dar, die weiße Substanz die Verkabelung. Der Abstand zwischen der inneren weißen und der äußeren grauen Substanz, die kortikale Dicke, erreicht den höchsten Wert. Die kortikalen Falten als charakteristische Rillen im Gehirn stabilisieren sich.

Die Adoleszenz

Der erste Wendepunkt der Entwicklung des Gehirns findet im Schnitt um das neunte Lebensjahr statt. In dieser Phase wächst das Volumen der weißen Substanz weiter. Die Organisation der Kommunikationsnetzwerke wird verfeinert. Das Gehirn optimiert die Pfadlänge der Verbindungen. Die Effizienz nimmt in der Pubertät zu. Das Gehirn arbeitet immer effizienter.

In dieser Phase kommt es zu Sprüngen in der kognitiven Leistungsfähigkeit, da sich die Kommunikation über weite Teile des Gehirns verbessert. Die verhaltensbezogene und sozio-emotionale Entwicklung des adoleszenten Menschen wird durch die Veränderungen des Gehirns beeinflusst. Dadurch erhöht sich auch das Risiko für psychische Störungen.

Die zweite Phase der Entwicklung des Gehirns hält bis ins frühe Erwachsenenalter, ungefähr bis kurz nach dem 30. Lebensjahr, an. Das Ende der Adoleszenz lässt sich wissenschaftlich schwieriger bestimmen als der Anfang der Pubertät. Jugendliche Veränderungen der Gehirnstruktur enden ungefähr mit Anfang 30. Das Gehirn erreicht um das 30. Lebensjahr seine größte Effizienz.

Die Adoleszenz
Der erste Wendepunkt der Entwicklung des Gehirns findet im Schnitt um das neunte Lebensjahr statt – Bild: ©FAMILY STOCK #505896477 – stock.adobe.com

Das Erwachsenenalter

Die neuronale Verdrahtung des Gehirns schaltet ungefähr mit 32 Jahren in den Erwachsenenmodus, die längste Phase, um. Dieser Modus erstreckt sich über mehr als drei Jahrzehnte. Die Phase beginnt mit dem stärksten topologischen Wendepunkt der gesamten Lebensspanne. In der Verdrahtung erfolgen in diesem Alter die stärksten Richtungsänderungen.

Die Gehirnarchitektur stabilisiert sich im Vergleich zu früheren Phasen. Intelligenz und Persönlichkeit befinden sich auf einem Plateau. Noch immer arbeitet das Gehirn effizient. Allerdings sind die schnellen, komplexen Veränderungen der Jugend vorbei. Das Gehirn bleibt nicht starr. Einzelne Hirnregionen grenzen sich langsam stärker voneinander ab. Die Effizienz sinkt dadurch leicht.

Das frühe Altern

Im Alter von ungefähr 66 Jahren ist der Wendepunkt deutlich milder. Die allmähliche Umstrukturierung der Hirnnetze könnte Mitte der Sechziger Jahre ihren Höhepunkt erreichen, was wahrscheinlich mit dem Alterungsprozess zusammenhängt.

Die weiße Substanz beginnt zu degenerieren, was zu einer weiteren Abnahme der Konnektivität führt.

Das Netzwerk wird dünner, die topologischen Muster einfacher. In dieser Phase wird die weiße Substanz abgebaut. Die Forscher beobachteten eine zunehmende Trennung und Spezialisierung der einzelnen Regionen. In dieser Phase arbeitet das Gehirn modularer, wahrscheinlich, um die abnehmende allgemeine Effizienz zu kompensieren. Das bedeutet ein höheres Risiko für verschiedene Gesundheitsprobleme wie Demenz oder Bluthochdruck.

Das späte Altern

Im Alter von ungefähr 83 Jahren erreicht das Gehirn seinen letzten Wendepunkt. Es wird für das Netzwerk zunehmend schwerer, effizient über weite Strecken zu kommunizieren. Die Wichtigkeit einzelner Regionen, die eng vernetzt sind, nimmt zu.

Das Lebensalter der Probanden ließ sich bei der Studie am schlechtesten an der Entwicklung des Gehirns festmachen. Die Forscher vermuten, dass sich die Gehirnentwicklung vom Alter entkoppelt und die Gehirne der Menschen unterschiedlich stark altern.

Die Verdrahtung des Gehirns hängt mit neuronalen Entwicklungsstörungen, neurologischen und psychischen Erkrankungen zusammen. Die Unterschiede in der Verdrahtung können zu unterschiedlichen Verhaltensweisen und Schwierigkeiten mit Sprache, Gedächtnis und Aufmerksamkeit führen.